randegg 2019

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Öffnungszeiten:  Sa. und So.: 13-18 Uhr  - bis 6.10.2019             und nach Vereinbarung  07734 97255

Eröffnungsrede auf Schloss Randegg   
Jacqui Colley und Harald Häuser, 31.8.2019 | Andrea Dreher, Kunsthistorikerin, Ravensburg   (english translation)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen der Kunst, lieber Titus, lieber Harald, dear Jacqui,
eine Ausstellung wie diese, die auch das Ergebnis eines Workshops ist, passt zum Macher Titus Koch. Denn es gibt für ihn so gut wie nichts, was es nicht gibt, Spontaneität und Anpacken inklusive. Einzig für uns Laudatoren ist so eine Ausstellung „stressful“, denn ein „Work in progress“ lässt sich schwer in statische Worte fassen. Muss und soll er aber auch gar nicht.
Wer die aktuelle Biennale in Venedig mit dem Titel „May you live in interesting times“ besucht hat, kam nicht umhin festzustellen und sogar physisch zu erleben, dass zeitgenössische Kunst stets auch die Finger in die Wunden der Zeit legt. So sind Themen wie Umwelt, Ausgrenzung, Fremde, Ausbeutung, Vergeudung von Ressourcen, Gender, Identität usw. nicht nur in den Medien präsent, sondern sie beschäftigen uns inzwischen alle auf diesem Globus!
Auch die beiden Künstler dieser Ausstellung, Jacqui Colley aus Neuseeland und Harald Häuser aus Deutschland machen keine Kunst um der Kunst willen, sondern sie geben mit ihren Kunstwerken Statements ab, sie mischen sich ein!

So schrieb mir Harald in der E-Mail im Vorfeld dieser Ausstellung folgendes: „Generell ist mit vor einer Weile der Gedanke gekommen, dass in unserer heutigen Zeit, in der Alles immer mehr knallhart kontrolliert wird und politische Manipulationen somit ein leichtes Spiel haben, der Ausdruck einer möglichst "freien Malerei" durchaus ein sehr aktuelles Instrument ist. (Der Begriff des Informell ist zwar abgedroschen...aber ich kann das kunsthistorisch gesehen nun immer besser nachvollziehen...vielleicht war es eine ähnliche Zeit...man mußte sich damals Freiräume erschaffen...nun vielleicht diese erhalten ...?)“.


Auch Jacqui beschreibt, wie sich bei ihr Leben und Kunst durchdringen: „Ich wurde in Sambia geboren und habe den Großteil meines Lebens in Kapstadt verbracht. In Afrika sind ausdrucksstarke Rhythmen, Farben und Bewegungen fundamentale Bestandteile der Ausdrucksweise. Diese habe auch ich zweifellos im Blut und sie beeinflussen, wie ich auf meine Umwelt reagiere. Ich lebe mittlerweile seit über 20 Jahren in Neuseeland und auch das hat einen wesentlichen Einfluss auf meine Denkweise und Weltanschauung. Das Leben in Neuseeland, dieser abgelegenen Insel im Pazifik, bringt nicht nur die Abgeschiedenheit mit sich. Es ist auch ein Ort, an dem die Geschichte jung und lebendig und die Zukunft unmittelbar und sichtbar ist. Wir sehen jeden Morgen die ersten Strahlen der neu aufgehenden Sonne und leben sehr eng mit der Natur. Meine jetzige Arbeit ist eine Mischform dieser Kulturen und verleiht meiner Tätigkeit eine eigenständige Tiefe.“

Bevor wir uns den Kunstwerken zuwenden, möchte ich noch einen kurzen Exkurs zu den Qualitätskriterien guter Kunst vorwegschicken. Am 10. Juni 2018 schrieb Christian Saehrendt in der NZZ einen Artikel mit der Überschrift „So viel schlechte Kunst! Aber woran soll man sie erkennen?
Weil man sich über die Kriterien für gute Kunst viel zu selten einig sei, könne es vielleicht hilfreich sein zu erkennen, was NICHT geht. „Die meisten Indizien schlechter Kunst ergeben sich aus Dissonanzen zwischen Form und Inhalt. Um dies zu verstehen, bietet sich das Modell eines gleichseitigen Dreiecks an, das idealerweise die künstlerische Arbeit prägt. Die erste Seite: Erlebnis, Erfahrung, Authentizität. Die zweite Seite: Vorstellungskraft, Schöpferkraft, Ideenreichtum. Die dritte Seite; handwerkliches Können, technisches Verständnis, Materialbeherrschung. Ist die eine Seite zu schwach oder wiegt eine Seite schwerer als die beiden anderen, gerät das Dreieck aus dem Gleichgewicht, und das Werk wird angreifbar. Gute Kunst verbindet Authentizität, Originalität und handwerkliches Können.“, so die Erkenntnis des Autors.
Mit den Worten unserer beiden Künstler im Hintergrund und deren Kunstwerken im Vordergrund sind wir uns alle einig, dass die Trias Authentizität, Originalität und handwerkliches Können in dieser Ausstellung eingelöst wird.
Sowohl Jacqui Colley als auch Harald Häuser gehen in ihrer Kunst keine Kompromisse ein, sie folgen keinen Moden, sie lancieren keine Trends, sondern sie arbeiten mit hoher Disziplin und großer Ausdauer an einem Werk, das stets auch die Begriffe Unabhängigkeit und Freiheit impliziert.
Auch lassen beide das Experiment zu, sie suchen sogar beide die Herausforderung des Neuen und sie wagen den Schritt zu neuen Techniken.
Harald Häuser beginnt seine Leinwände zunächst mit dem Auftrag wässriger Farbe auf dem Boden. Im Laufe des Bildprozesses wird die natürliche Sehgewohnheit des Malers durch einen Tiefenraum erweitert, den er insbesondere durch verschiedene Lasuren erreicht. Die Lasur-Technik ist eine Hauptcharakteristik im Werk Harald Häusers. Das lichte und spontane Auftragen hauchdünner Farbschichten bildet das große Geheimnis im Werk dieses Malers, der nicht selten auch Tücher als Pinsel verwendet, um diese als verlängerten Arm einzusetzen. Häusers „Tuch-Technik“ ist unter dem Begriff der Décalcomanie zu fassen, einer künstlerischen Technik des Farbabzuges oder des Farbabklatsches. Die Décalcomanie zielt nicht darauf ab, ein Motiv abzubilden, sondern selbständig ein Motiv zu sein.

Spätestens, wenn wir die assoziativen Titel seiner Werke wie „open sky", "Sturmflut", "Vegetation", "brain", "not east, not west, not north, not south" , "Wachstum" ,"The birth of language", "Die Kontinente der Meere", "The secret life of water", "Großes Ufer", "Kontinentalverschiebung“, usw. lesen, begreifen wir einmal mehr, dass Häusers Kunst sich als Mikrokosmos versteht und dass es ihm in seiner Arbeit um sehr elementare Themen geht, auch um bedrohte Naturräume.

Jacqui Colley gewann letzten Sommer den mit $ 20.000 dotierten und sehr renommierten Parkin Drawing-Prize für ihr Werk „LONG ECHO“, eine über zwei Meter hohe Aluminiumplatte, auf der die Künstlerin Zeichnungen als Zeichen hinterließ, mit Säure und verschiedenen Ätztechniken experimentierte und sogar Stift und Pinsel durch Werkzeuge ersetzte. Der Juryvorsitzende Kelcy Taratoa zeigt sich im Gespräch mit dem Gründer des Preises Chris Parkin sichtlich beeindruckt von der überzeugenden, technikaffinen Handschrift des Werks LONG ECHO.
Die Künstlerin sagt hierzu: „Für dieses Werk habe ich eine Kombination aus traditionellen und zeitgenössischen Ätztechniken verwendet: Kaltnadelradierung, ein Dremel-Werkzeug (Anm. Hochgeschwindigkeits-Multifunktionswerkzeug für den industriellen Gebrauch), nicht-toxische Ätzmethoden und schwarzes Pigment auf einer 3 m langen Oberfläche aus Aluminium.“

Was nüchtern klingt, beeindruckt durch seine Machart und vor allem durch die konzeptuelle und innovative Erweiterung der Gattung Zeichnung!
Doch in Jacqui Colleys Werk besticht nicht nur der technische Aspekt, sondern es geht es der Künstlerin immer auch um die inhaltliche Auseinandersetzung mit existenziellen Themen, die uns alle angehen: Dies klingt in ihren Worten so:
„Meine neueren Gemälde und Zeichnungen führen nicht greifbare Elemente zusammen und behandeln veränderte Naturzustände, die weitreichende Auswirkungen haben und durch intensivere landwirtschaftliche Nutzung, die Industrialisierung und die Entwicklung von Grund und Boden bedingt sind. Sie sind Meditationen zu dieser Schnittstelle zwischen dem Organischen und dem Mechanisierten und erzeugen eine Sicht auf Mikro- und Makroebene. Sie werden gleichzeitig auf Zellebene und aus so etwas wie einer Satellitenansicht wahrgenommen. Manche Arbeiten erzeugen das Gefühl, dass hier eine neue Form im Entstehen ist; Chaos, das sich angesichts der Realitäten umschichtet und neu formt. Wenn man ganz weit oben über ihr schwebt und auf sie hinabblickt, ist die Erde ein einzelner Organismus; betrachtet man sie durch ein Vergrößerungsglas erkennt man eine fein aufeinander abgestimmte Anordnung von einzigartigen Ökosystemen. Störungen spielen eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der Struktur einzelner Populationen und des Charakters ganzer Ökosysteme. Am meisten beschäftigt mich die ökologische Störung dieser Ökosysteme und was sich daraus ergibt.“
Auch im Gespräch mit Harald Häuser bekommen wir wichtige Hintergrundinformationen zu seinem Werk, wenn er sagt: "Die Idee entsteht im Malprozess...und im Bewußtsein, dass Farbe als Materie ein Teil der Welt ist, … eben aber ein sichtbarer und somit exemplarischer....was dem Betrachter ermöglicht, Neuland zu betreten.“
Harald Häuser will uns mit seiner Kunst einen erweiternden Seh-Denk-und Lebensimpuls an die Hand geben, die auf einem wirklich großartigen Subtext fußt, nämlich dem der Toleranz. Je komplexer und tiefer seine Räume seien, desto stärker sei die Toleranz im Bild gefordert. Toleranz innerhalb des Bildes, Toleranz vom Bild zum Betrachter und Toleranz vom Betrachter zum Bild.
„Man malt, um etwas zu verstehen“, ist einer der Sätze aus dem Munde des Malers. Der Beginn dieses Verstehens erfolgt nicht über den rationalen Weg, sondern über spontane und automatische Impulse, über Anleihen an die „écriture automatique“ der Surrealisten.
Ein Bild zu verstehen bedeutet für Harald Häuser, dass die Energie, die der Künstler in sein Werk investiert hat, für uns selbst sichtbar und erfahrbar wird.
In einer Mail vom 12. Juli schrieb mir Harald Häuser im Übrigen folgendes: „Ich male dann auch auf Leinwänden ...habe vor, ein 6-teiliges Bild zu Malen (9 x 1,5m) und das dann in dem leicht gerundeten Raum zu hängen...so à la Monet. Ich hoffe, es wird was.... . Das Bild von Jacqui auf der Einladung gehört übrigens zu einer Serie (davon sind schon ca. 4 - 5 im Schloss), die sie auf ihrer website "nascent" betitelt...also "im Entstehen begriffen"… oder "werdend". Habe mich entschlossen, ein paar ganz alte Aquatinta-Drucke von 1988 erstmals zu zeigen...vielleicht als Echo zu Jacquis geplanten Experimenten auf Alu.“

Jacqui spricht im Zusammenhang mit ihrem Werk auch von einem Dazwischen-Zustand - einer Art Zwischenexistenz oder Zwischenbeziehung von Mensch, Natur, Technologie, Organismus und Ökosystem und sie sagt:
„Als Antwort auf die digitale Erfahrung habe ich persönlich das Verlangen, die Sinne zu bewahren, die Welt um mich herum zu fühlen, zu berühren und mit allen meinen Sinnen wahrzunehmen. Für mich stillt das Malen und Zeichnen dieses Verlangen auf eine direkte Art, wie sie mit keinem anderen Medium möglich ist.“

Solche Interna gehören ins Vorfeld dieser (und übrigens jeder) Ausstellung, und ich wollte Sie Ihnen nicht vorenthalten. Denn es sind so schöne und ehrliche Gedanken-Skizzen. Was daraus geworden ist, sehen wir heute selbst in diesem wunderbaren Dialog von Jacqui Colley und Harald Häuser, zwei Künstlern, die sich übrigens hier erstmals persönlich trafen, aber sich schon lange schätzen.

Wenn wir abschließend nochmals zurückkehren zur Biennale, so können wir vom Kurator Ralph Rugoff folgendes Statement lesen: „Das Wichtigste an einer Ausstellung wie der Biennale sei „nicht das, was sie zeigt, sondern, wie das Publikum seine Erfahrungen mit der Ausstellung nutzen kann, um Alltagsrealitäten aus erweiterten Blickwinkeln mit neuen Energien zu begegnen.“ (KUNSTFORUM, Bd. 261, S. 53)

Liebes Publikum, liebe Gäste, nun sind Sie an der Reihe. Erweitern Sie Ihre Blickwinkel, tanken Sie auf, schöpfen Sie neue Energien aus einer Ausstellung, die dynamisch-expressiv gewachsen ist und deren Kraft förmlich zu spüren ist.

© Andrea Dreher, August 2019

 
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